Einblick in die Arten und Auswirkungen von Orgasmusstörungen bei Männern
Orgasmushemmung bei Männern ist ein wenig besprochenes, aber weitreichendes Problem. Es betrifft nicht nur das individuelle Wohlbefinden, sondern hat auch Auswirkungen auf Partnerschaft und Selbstbild. In diesem Artikel gehen wir auf die verschiedenen Arten, Ursachen und Konsequenzen der Orgasmusstörungen ein.
Die sogenannte Orgasmushemmung beim Mann - also der verzögerte oder ausbleibende Orgasmus - stellt dabei eine schwere Belastung für die Betroffenen dar und führt schnell in einen Teufelskreis, aus dem man(n) meist nur mit professioneller Hilfe herauskommt.
Tabelle 1: Kategorisierung der sexuellen Funktionsstörungen in DSM-IV und ICD-10
Normalerweise erlebt der Mann nach ausreichender sexueller Erregung und Stimulation gleichzeitig einen Orgasmus und einen Samenerguss (Ejakulation). Bei der Orgasmushemmung kommt es jedoch erst sehr spät oder überhaupt nicht zum sexuellen Höhepunkt. In der Konsequenz bleibt auch die Ejakulation aus. Finden solche Orgasmusstörungen statt, ist das für die Betroffenen sehr belastend.
Im DSM-IV, der amerikanischen Klassifikation psychischer Störungen, gilt die Orgasmushemmung also eine anhaltende oder wiederkehrende Verzögerung oder ein Fehlen des Orgasmus nach einer normalen sexuellen Erregungsphase während einer sexuellen Aktivität, die der Untersucher unter Berücksichtigung des Lebensalters hinsichtlich Intensität, Dauer und Art für adäquat hält.¹
Man unterscheidet bei der Orgasmushemmung zwischen:
Hypoorgasmie: der Mann kann nur gelegentlich zum Höhepunkt kommen
primärer Anorgasmie: der Mann hat noch nie in seinem Leben einen Orgasmus erlebt
sekundäre Anorgasmie: der Mann hat im Laufe seines Lebens die Fähigkeit, einen Orgasmus zu erleben, verloren
Die komplette Anorgasmie geht dabei mit einer Anejakulation, also dem Ausbleiben des Samenerguss, einher.
Die verschiedenen Arten der Orgasmushemmung können entweder situativ oder generalisiert eintreten. Bei der situativen Orgasmusstörung kann dabei unter bestimmten Bedingungen, zum Beispiel bei der Selbstbefriedigung, beim Oralverkehr oder in bestimmten Stellungen der sexuelle Höhepunkt erreicht werden.
Im Gegensatz zum vorzeitigen Samenerguss tritt der verzögerte Samenerguss recht selten auf: So zeigen zwischen 3% und 8% der Männer Symptome der Orgasmushemmung².
Orgasmusstörungen gehen jedoch meist Hand in Hand mit Erektionsstörungen. Grund dafür ist die psychische Belastung, die der verzögerte oder ausbleibende Orgasmus für die Betroffenen darstellt. Die dabei entstehenden Sorgen erschweren das Sexualleben und bauen Leistungsdruck auf, was kontraproduktiv für eine gesunde Erektion ist - und eine erektile Dysfunktion zur Folge haben kann.
Wenn eine Frau mal nicht zum Höhepunkt gelangt, wird das meist nicht hinterfragt. Kommt der Mann jedoch nicht, wird er schnell mit Fragen konfrontiert wie: „Findest Du mich nicht attraktiv?“, „Gefällt dir der Sex nicht?“, „Was ist denn falsch mit Dir/Mir?“. Dieses Unverständnis kombiniert mit der Frustration des Mannes führt häufig zu Leistungsdruck, Partnerschaftskonflikten sowie Unsicherheiten in sexuellen Kontexten.
Zusätzlich wird der Sex von beiden Seiten zunehmend als mühsam angesehen. Denn während der Mann beim Geschlechtsverkehrs angestrengt dem Höhepunkt hinterherjagt, nimmt die Feuchtigkeit der Scheide ab und die Reibung wird für beide Beteiligten schmerzhaft. Nicht selten wird der Sex dann begleitet von Frustration und Unwohlsein abgebrochen.
In der Folge vermeidet man(n) den Sex zunehmend und legt stattdessen - falls hier ein Orgasmus möglich ist - selbst Hand an. Dieser Rückzug verstärkt das Problem jedoch und führt meist in einen Teufelskreis, welcher zu allem Übel auch noch eine Erektionsstörung zur Folge haben kann. Außerdem fühlt sich die Partnerin, wenn der Mann nur durch eigene Betätigung zum Orgasmus kommt, schnell überflüssig und muss ebenfalls mit Minderwertigkeitsgefühlen kämpfen.
Wenn die Orgasmushemmung des Mannes dem Kinderwunsch in die Quere kommt, führt das schnell zu Unzufriedenheit und Zweifeln an der Partnerschaft. Denn wenn der Orgasmus ausbleibt, fehlt meist auch der Samenerguss und die Frau kann nicht auf natürliche Art und Weise befruchtet werden.
Viele wissen dabei nicht, dass ein fehlender Orgasmus nicht mit Impotenz gleichzusetzen ist. Sind die Spermien des Mannes gesund, können sie auch auf anderem Wege die Frau erreichen - nämlich mit hilfe künstlicher Befruchtung. Dafür werden die Spermien aus den Hoden und Nebenhoden entnommen und künstliche in die Eizelle der Frau eingesetzt.
Nur selten sind die Ursachen für eine beeinträchtigte Orgasmusfähigkeit beim Mann rein körperlicher Natur: Die Entstehung und Aufrechterhaltung des verzögerten bzw. ausbleibenden Samenergusses beruht meist auf der Wechselwirkung zwischen physischen und psychischen Faktoren sowie bestimmten Verhaltensmustern.
Die Orgasmushemmung kann ein Symptom verschiedener körperlichen Erkrankungen sein. Dazu gehören unter Anderem:
Diabetes
neurologische Erkrankungen, z. B. multiple Sklerose, Parkinson
Tumore, z. B. Prostatakrebs
hormonelle Störungen, z.B. Testosteronmangel
Nervenschädigungen, z.B. durch Operationen oder Verletzungen im Becken oder an der Wirbelsäule
Entzündungen der Geschlechtsorgane
Neben diesen organischen Erkrankungen kann auch die Einnahme bestimmter Medikamente die Fähigkeit, einen Orgasmus zu erleben, beeinträchtigen. Zu diesen Medikamenten zählen zum Beispiel Antidepressiva, Beruhigungsmittel oder Mittel gegen Psychosen. Auch regelmäßiger Drogenkonsum - unter anderem der von Marihuana, Kokain oder Alkohol - hat Einfluss auf die Erektionsfähigkeit und Orgasmusfähigkeit.
Eine weitere organische Ursache für den verzögerten oder ausbleibenden Höhepunkt beim Sex ist schlichtweg der Alterungsprozess. Grund ist die altersbedingte Abnahme der Sensibilität des Penis. Eine solche nachlassende Empfindlichkeit kann außerdem Folge von einer Beschneidung oder zu “harter” Selbstbefriedigung sein.
Eine Orgasmushemmung kann neben organischen Ursachen auch durch psychische und soziale Faktoren bedingt und aufrechterhalten werden. Ursächliche psychologische Faktoren sind zum Beispiel:
Leistungsdruck, Versagensängste
Selbstwertprobleme, Unwohlsein / Hemmungen
Ängste, z.B. vor einer ungewollten Schwangerschaft
zu wenig Erfahrung mit dem eigenen Körper
unrealistische Erwartungen und sexuelle Abstumpfung, z. B. durch Pornos
Stress & Konflikte im Alltag / auf der Arbeit / in der Beziehung / in der Familie
eine zu starke Fokussierung auf die Partnerin / den Partner
Depression, Burn Out
Traumata, z.B. durch sexuellen Missbrauch
Situative Faktoren, z.B. fehlende Privatsphäre, eine unangenehme Umgebung oder ein schlechtes Timing
Solche ursächlichen psychologischen Faktoren können ebenso wie körperliche Erkrankungen eine Orgasmushemmung verursachen. Die Psyche kann jedoch auch ausschlaggebend für die Aufrechterhaltung und Manifestierung der Orgasmushemmung sein. So kann bereits das einmalige Ausbleiben des Höhepunktes Stress erzeugen und bei dem Betroffenen Leistungsdruck und Selbstwertprobleme hervorrufen. Damit beginnt meist ein Teufelskreis, welcher die Orgasmushemmung am Leben erhält und es sehr schwer macht zu identifizieren, woher die Störung kommt.
Neben den organischen und psychischen Faktoren können auch bestimmte Verhaltensweisen während der sexuellen Aktivitäten die Orgasmushemmung bedingen. So können Langeweile im Bett oder das Ausüben von Sexpraktiken, die einem selbst nicht gefallen, die Ursache für den ausbleibenden Orgasmus oder eine mangelnde Erregung sein. Auch ein zu langes Vorspiel ist meist kontraproduktiv, wenn der Mann Probleme hat, den Höhepunkt zu erreichen.
Wenn der Orgasmus über einen längeren Zeitraum ausbleibt und dies die Lebensqualität des Betroffenen beeinträchtigt, sollte umgehend ein Arzt - am besten ein Urologe - aufgesucht werden.
Der Arzt macht sich meist in einem ersten Gespräch ein vorläufiges Bild vom Ausmaß der Störung. Dabei werden bereits Informationen über bekannte Vorerkrankungen und die Einnahme von Medikamenten gesammelt. Anschließend werden der Penis und die Hoden abgetastet, sodass der Grad der Berührungsempfindlichkeit abgeklärt werden kann. Abhängig von den Ergebnissen der Untersuchungen wird der Patient auf weitere mögliche Grunderkrankungen untersucht. Dabei können Urintests oder Blutuntersuchung im Labor hilfreich sein um mögliche auslösende Erkrankungen zu identifizieren.
Wenn keine ursächlichen Erkrankungen oder Medikamente ausfindig gemacht werden oder die Behandlung der identifizierten Erkrankungen bzw. die Veränderung der Medikation keine Veränderungen hervorbringen, sollte der Gang zum Psychotherapeuten bzw. Sexualtherapeuten in Betracht gezogen werden. Der Therapeut kann anhand diagnostischer Verfahren wie Fragebögen oder Gesprächen mögliche psychologische Ursachen für die Orgasmushemmung ausfindig machen.
Gar nicht oder zu spät zum Höhepunkt zu kommen, kann frustrierend sein. Doch genau wie der vorzeitige Samenerguss ist auch der verzögerte und der ausbleibende Orgasmus behandelbar.
Je nach Schweregrad reichen für die Heilung der Orgasmushemmung bereits einfache Verhaltensänderungen. Das A und O ist hier die offene Kommunikation des Betroffenen mit dem Partner bzw. der Partnerin. Nur so können Missverständnisse geklärt und Vertrauen geschafft werden. Zusätzlich kann Druck auf beiden Seiten reduziert werden. Auch der Austausch über Vorlieben und Phantasien kann helfen, die Chance auf einen Orgasmus zu erhöhen!
Wenn die reine Kommunikation nicht reicht, ist es hilfreich, am Verhalten im Schlafzimmer zu arbeiten. Dabei sollte die langweilige Routine unterbrochen werden und Abwechslung, z.B. durch die Variation von Orten oder Stellungen, geschaffen werden. Zusätzlich sollte die Stimulation des Mannes verstärkt werden - zum Beispiel durch das Einbinden von Sextoys oder das Erkunden neuer erogener Zonen.
Bringt das alles immer noch keinen Höhepunkt hervor, ist der Gang zum Arzt - am besten zum Urologen - nicht mehr vermeidbar. Werden bei der ärztlichen Ursachenforschung organische Erkrankungen oder die Einnahme bestimmter Medikamente als Ursache für die Orgasmushemmung identifiziert, hat die Behandlung der Grunderkrankung oder die Veränderung der Medikation oberste Priorität.
Spezielle nervenstimulierende Therapieoptionen können außerdem dabei helfen, die Empfindlichkeit des Penis wieder zu erhöhen. Ein Beispiel ist die sogenannte perkutane penile Vibrostimulation bzw. Vibrationsstimulation. Dabei werden die Nerven in den Geschlechtsteilen des Mannes durch Vibration trainiert und somit sensibilisiert. Ähnliche Effekte zeigen spezielle Masturbationsübungen.
Auch spezielle Arzneimittel, welche für anderweitige Indikationen zugelassen sind, denen jedoch eine ejakulationsfördernde Wirkung nachgesagt werden, können eingesetzt werden. Aufgrund der unterschiedlichen Nebenwirkungen sollte das jedoch gründlich mit einem Experten durchgesprochen werden. Ein Beispiel dafür ist die Einnahme des Hormons Oxytocin³.
Da die Betroffenen schnell in einen Teufelskreis zwischen Sorgen, Stress und dem ausbleibenden Orgasmus geraten, ist es für die rein körperliche Behandlung oft schon zu spät. Hier hilft meist nur noch eine gezielte psychotherapeutische Behandlung. In einer sogenannten Sexualtherapie werden dabei Ehrlichkeit, Akzeptanz und Offenheit für neue sexuelle Erfahrungen beider Partner gefördert. Dabei soll Stress und Leistungsdruck reduziert werden. Außerdem wird der Mann angeleitet, neue Wege zu finden, sich zu erregen und somit die Wahrnehmungsfähigkeit des Körpers und des Penis zu verbessern. Die Therapie sollte sich dabei weniger auf die Akzeptanz als auf die Veränderung der Situation fokussieren.
Zusätzlich können während der Psychotherapie tiefgründige Ursachen für die Orgasmus-Probleme ausfindig gemacht und angegangen werden - z. B. Traumata, Selbstwertprobleme oder unrealistische Erwartungen an den Sex.
Ob man(n) von der Orgasmushemmung befreit werden kann, ist abhängig von der Ursache und der Situation des Betroffenen.
Sind psychische Faktoren Ursache für die Störung, ist es häufig möglich, mit hilfe von Sexual- und Psychotherapie den Betroffenen zu einer normalen Orgasmusfähigkeit zu verhelfen. Wichtig ist hier - zusätzlich zu der aktiven Mitarbeit des Betroffenen - ein verständnisvolles und unterstützendes Umfeld. Deshalb werden die Partner bei den meisten Therapien mit einbezogen. Zusätzlich sollte der Betroffene an schädlichen Umweltbedingungen wie Stress oder Konflikten arbeiten.
Bestehen die Orgasmusprobleme aufgrund einer Grunderkrankung, ist die Prognose abhängig von der Art der Erkrankung. So kann mit der Heilung auch die Orgasmusshemmung verschwinden, wohingegen andere Krankheiten zur vollständigen Unfruchtbarkeit führen können. Hier gilt jedoch meist: Je früher die Erkrankung behandelt wird, desto höher die Heilungschancen! Ist ein bestimmtes Medikament der Auslöser, kann das Wechseln oder eine geringere Dosierung des Medikamentes die Orgasmusfähigkeit normalisieren.
Insgesamt ist die Aussicht auf eine Besserung der Orgasmushemmung bei entsprechender Behandlung sehr gut. Die Prognose verschlechtert sich bei schwer behandelbaren Vorerkrankungen oder der Einnahme von Drogen und Medikamenten.
¹Beier, K. M., Hartmann, U., & Bosinski, H. A. G., 2000
²Dekker 1993; Rosen & Leiblum 1995
³IsHak, W. W., Berman, D. S., & Peters, A., 2008
Tabelle 1: Beier, K. M., Hartmann, U., & Bosinski, H. A. G., 2000
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